Osterfestspiele in Baden-Baden: Mit Daniel Harding am Pult begeisterten die Berliner Philharmoniker mit der „Alpensinfonie“ von Richard Strauss das Publikum im Festspielhaus.

Im Sommer 1879 unternimmt ein 15-Jähriger eine Bergtour auf den knapp 1800 Meter hohen Heimgarten in Bayern. Beim Abstieg gerät er in ein Gewitter, der Bub verirrt sich und sucht zwölf Stunden lang bei Regen und Sturm den Weg nach Hause. Kurz darauf schreibt er an seinen Freund: “Die Partie war bis zum höchsten Grade interessant und originell. Am nächsten Tage habe ich sie auf dem Klavier dargestellt. Natürlich riesige Tonmalereien und Schmarrn nach Wagner.” Es ist die Geburtsstunde der „Alpensinfonie“, der musikalisch hochbegabte Wanderer heißt Richard Strauss. Seine letzte sinfonische Dichtung ist längst zu einem der berührendsten Werke der spätromantischen Musik geworden. Strauss’ folgt Beethovens Credo für die Programmmusik: „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei.“ Seine monumentale „Alpensinfonie“ komponierte er für mindestens 107 Orchestermusiker – mit Donnerblech, Windmaschine, Celesta und Orgel. Entsprechend gedrängt ging es zu auf der Bühne des Festspielhauses.

 

 

Am Pult im Baden-Badener Festspielhaus: Daniel Harding. Der gebürtige Oxforder begann seine Karriere als Assistent von Simon Rattle beim City of Birmingham Symphony Orchestra und von Claudio Abbado bei den Berliner Philharmonikern. Mit seinen 42 Jahren wirkt Harding immer noch jungenhaft. Der Brite mit Pilotenlizenz und Flugsimulator in seinem Haus in Frankreich ist Mitglied der Königlichen Schwedischen Akademie der Musik und wurde im vergangenen Jahr zum Offizier des französischen Ordens der Schönen Künste und Literatur ernannt. Das Orchester leise zu halten, durchsichtig zu sein und an den richtigen Stellen brachial zuzuschlagen zählt zu den größten Herausforderungen der „Alpensinfonie“. Harding, der mit 17 Jahren erstmals ein Orchester dirigierte, zeigt sich dieser Aufgabe auf eine bewundernswerte Weise gewachsen. Er arbeitet die Dramaturgie penibel heraus und lässt die „Alpensinfonie“ mit außergewöhnlicher Plastizität und Transparenz auferstehen. Man ist umhüllt von der Musik, vergisst das Außen.

 

 

Harding kann sich jederzeit auf die stupende Musikalität seines Ensembles verlassen: zart, weich und durchhörbar an den leisen Stellen, fulminant in der Darstellung von Sturm und Gewitter, ohne ausufernd zu sein. Die musikalische Bergwanderung – vom gleißenden Sonnenaufgang über die friedliche Kuhglocken-Alm bis zum gewitterumtosten Abstieg in der Kombination Harding und Berliner Philharmoniker berührt buchstäblich die Seele. Stehende Ovationen im Festspielhaus.

 

 

Der erste Teil des Abends stand im Zeichen des kanadischen Weltklasse-Baritons Gerald Finley mit von Max Reger, Hector Berlioz und Johannes Brahms zu Orchesterfassungen umgearbeiteten Liedern von Franz Schubert – darunter das berühmte Lied „Erlkönig“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe. Maestro Harding versteht sein Orchester behutsam zu zügeln, um Gerald Finley in den Mittelpunkt zu heben. Der dankt es mit höchster Kunst. Allein seine Interpretation von Schuberts “Du bist die Ruh” in der Orchesterfassung von Anton Webern als Zugabe ist die Reise nach Baden-Baden wert.

Das Festspielhaus und die Berliner Philharmoniker haben einen Vertrag zur Fortsetzung der Osterfestspiele unterzeichnet. Die Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker Andrea Zietzschmann und Festspielhaus- Intendant Andreas Mölich-Zebhauser gaben zwei Tage nach dem Konzert bekannt, dass die Zusammenarbeit zunächst bis 2022 verlängert wird.

Fotos: Monika Rittershaus