Der russische Tasten-Titan Daniil Trifonov zog das Publikum im seit Monaten ausverkauften Baden-Badener Festspielhaus gleich mit zwei Klavierkonzerten in seinen Bann.

Die Fußverletzung scheint überwunden. Schnell und mit weiten Schritten eilt Daniil Trifonov an den Flügel. Erst vor wenigen Wochen hatte sich der Pianist bei einem Fahrradunfall in New York eine Fußverletzung zugezogen, die ihn daran hinderte, die Pedale am Flügel zu bedienen.

Beinahe hätte er seinen Konzertabend im Baden-Badener Festspielhaus – wie manch andere Gastspiele zuvor – absagen müssen. Doch jetzt genügte eine kleine Programmänderung. Trifonov stellte am vergangenen Samstag dem ersten und einzigen Klavierkonzert von Alexander Skrjabin das Pendant von Sergej Rachmaninows zur Seite. Das ursprünglich statt Skrjabin geplante zweite Klavierkonzert des „letzten Romantikers“ gab er am Sonntag im Festspielhaus.

 

Daniil Trifonov: Tasten-Titan in Baden Baden

 

Trifonov wirkt topfit. Beim selten zu hörenden fis-moll Klavierkonzert von Alexander Skrjabin hebt es ihn bisweilen von der Klavierbank. An den Tasten präsentiert er eine vituose Kombination aus Gefühl und purer Lust am Musizieren. Seine Kunstfertigkeit spiegelt die Musik gewordenen Emotionen des Komponisten wider: von Verzweiflung über Trauer und Euphorie bis zum Triumph. In den subtilen Passagen scheint der Flügel unter seinen Händen zu singen, brillant seine Klang-Kaskaden über die gesamte Klaviatur im Schlusssatz.

Valery Gergiev und sein St. Petersburger Mariinsky-Orchester geben dem 27 Jahre jungen Ausnahmepianisten allen Raum zur Entfaltung. Nur im Fortissimo schießen sie bisweilen über ihr Ziel hinaus und unterminieren Trifonovs Spiel zum Nebenschauplatz. Zur Hochform läuft der Maestro in der zweiten Sinfonie von Rachmaninow auf, die bis heute als dessen bedeutendstes Orchesterwerk gilt. Gefühlvoll zeichnet er die großdimensionierten, raumgreifenden Melodiebögen nach. Emotion verschmilzt mit Emphase. Neben der künstlerischen Leistung sticht der hohe Frauenanteil im Mariinsky-Orchester ins Auge. Etwa 40 Prozent dürften es nach grober Zählung sein. Weltklasse-Klangkörper wie die Berliner oder Wiener Philharmoniker kommen laut aktueller Besetzungsliste nur auf 14 bzw. nicht einmal zehn Prozent. Eine Quoten-Debatte ist in St. Petersburg offensichtlich kein Thema. So überrascht kaum, dass eine Frau die Position des Konzertmeisters ausübt. Die attraktive erste Geigerin, die ihren Lebensunterhalt sicherlich auch als Model bestreiten könnte, sitzt gar erhöht auf einem kleinen Podest.

 

 

Nach der Pause setzt sich Daniil Trifonov ein zweites Mal an den Steinway-D 274-Flügel. Nun mit dem ersten Klavierkonzert in fis-Moll von Rachmaninow, der die Arbeit an diesem Werk im zarten Alter von 17 Jahren begann – noch während er am Moskauer Konservatorium studierte. Im Unterschied zu den weithin bekannten zweiten und dritten Klavierkonzerten ist es kaum präsent in den Konzertsälen. Trifinov meistert die extremen technischen Anforderungen scheinbar mühelos und schafft mit seinem reichen Spektrum an Anschlagsnuancen ein Gefühl von Raum, Weite und Sehnsucht. Sensibilität paart sich mit stupender Versiertheit. Zwei Klavierkonzerte an einem einzigen Abend zu spielen ist schon eine absolute Rarität – auf diesem Niveau in Szene gesetzt grenzt es an ein musikalisches Mysterium.

 

Daniil Trifonov: Ausnahmepianist in Baden-Baden
(c) Jessica Griffin/Deutsche Grammophon

 

Kaum Wunder, dass Trifonov im Januar für sein bei der Deutschen Grammophon erschienenes Album “Transcendental” mit einem Grammy in der Kategorie “Bestes klassisches Instrumentalsolo” geehrt wurde. 2011 gewann er als 20-Jähriger innerhalb von nur sechs Wochen den ersten Preis beim Arthur-Rubinstein-Wettbewerb, die „Goldmedaille im Fach Klavier“ beim internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb sowie den Grand Prix des Gesamtwettbewerbs. Als Achtjähriger trat er erstmals mit Orchester auf – und verlor mitten im Konzert einen Milchzahn.

Zu den Pianisten, die ihn besonders inspirieren, zählt Trifonov Grigory Sokolov, Radu Lupu und Martha Argerich. Für die schweizerisch-argentinische Starpianistin verfügt ihr junger Kollege über „alles und noch mehr. Sein Anschlag hat Zartheit und auch das dämonische Element Ich habe so etwas noch nie gehört.“ Begeisterter Applaus im ausverkauften Festspielhaus.

Fotos: Manolo Press / Michael Bode