Kürzlich startete das Grand Hotel Waldhaus Sils in die neue Sommersaison. Herrlich abgelegen ist es der perfekte Ort für stilvolle Entspannung. In diesem Jahr gibt es gleich eine Reihe von Gründen zum Feiern.

Sils Maria ist privat, introvertiert und weniger mondän als St. Moritz. Wie eine Trutzburg thront das charaktervolle Waldhaus in Alleinlage auf einem Hügelrücken zwischen Silvaplanersee, Silsersee und Fextal. Darüber erhebt sich der mächtige Piz Corvatsch. In dem Luxushotel gibt es keinen traditionellen Check-in, stattdessen werden die Gäste mit helvetischer Dezenz willkommen geheißen – immer von einem Mitglied der Eigentümerfamilie.

„A family affair since 1908“ steht in goldenen Lettern an der Drehtür, die in die Lobby des Grand Hotels führt. Seit 2010 hat nach den Gigers und Kienbergers mit den 1977 und 1980 geborenen Brüdern Claudio und Patrick Dietrich die fünfte Generation das Ruder übernommen. Gemeinsam geben sie dem Hotel weiterhin ein Gesicht und einen ganz persönlichen Charakter.

Seniorchef Felix Dietrich lässt es sich nicht nehmen, immer wieder seine Aufwartung zu machen. Er versteht sich als „Außenminister“ und hat immer eine humorvolle Geschichte parat. „Darf ich mich vorstellen? Ich bin der Senior“, begrüßt er die Waldhaus-Ankömmlinge – und fügt verschmitzt hinzu: „Eigentlich bin ich ja gar nicht mehr da.“ In dem reinen Familienbetrieb ohne außenstehende Teilhaber ist Eigenwilligkeit Programm. Das Waldhaus Sils bietet allen Luxus eines modernen Fünf-Sterne-Hotels, versetzt die Gäste aber mitunter hundert Jahre zurück.

Teils scheint die Zeit stehen geblieben: In der Beletage im ersten Stock hängt noch die Sonnerie von 1908, die dem Personal mangels Haustelefon dazu diente, die Wünsche der Gäste entgegenzunehmen. Im Eingangsbereich wiederum wird die Rechnung im „Kassa-Raum“ beglichen, wo auf der Arrivée-Tafel die Neuankommenden von Hand aufgeführt werden. Als klassisch, modern und nostalgisch mit der original restaurierten Ausstattung von 1908 lässt sich das Ambiente wohl am besten beschreiben.

Zuhause auf Zeit

„Für uns ist es ein Zuhause auf Zeit, das wir in Schwung halten wollen. Ein Oldtimer oder ein Monument, aber zum Anfassen und Genießen“, bringt es Senior-Gastgeber Felix Dietrich auf den Punkt. Jährlich rund drei Millionen Franken allein während der vergangenen Jahre ist der Familie das Wohl der Gäste wert, von denen 60 Prozent immer wieder kommen. Beeindruckend ist nicht nur die Geschichte, sondern auch die Liste seiner Besucher: Clara Haskil, Thomas Mann, Maurizio Pollini, Erich Kästner, Albert Einstein, Richard Strauss, Hermann Hesse, C. G. Jung und Isabelle Huppert sind nur ein Auszug der illustren Gästeliste. Der französische Regisseur Claude Chabrol drehte hier seinen Film “Rien ne va plus”, während sich Donna Leon von ihren anstrengenden Lesereisen erholte.

“Als ich das Hotel betrat, ein Ort, an dem ich noch nie gewesen war, hatte ich das Gefühl, dass ich schon einmal dort gewesen war, obwohl ich wusste, dass ich es nie war”, schrieb die US-amerikanische Schriftstellerin über ihren ersten Besuch. Einer der bekanntesten Wahl-Engadiner fehlt indes auf dieser Liste: Friedrich Nietzsche. Für den Schöpfer des Zarathustra kam die Eröffnung des Hotels zwanzig Jahre zu spät.

Nostalgie-Zimmer (c) Gian Giovanoli

150 frische Blumensträuße

Das Waldhaus besticht nicht durch protzige Luxussuiten, sondern durch vergleichsweise unspektakuläre, im Stil der ausklingenden Belle Époque eingerichtete Zimmer – ein Grund, warum Russen lieber ins nahgelegene St. Moritz reisen. Frische Blumen prägen das Ambiente. Auf jedem Tisch im Speisesaal steht ein Strauß, üppige Blumenarrangements finden sich im großen Salon, der Bar, dem Arvenstube genannten Gourmetrestaurant, die als À-la-carte-Restaurant dient, und in den Gängen. Jede Woche steckt Anna Rosano 150 Sträuße. Seit 30 Jahren ist die Gärtnerin und Floristin für die betörende Dekoration verantwortlich. Als eine der 150 Angestellten trägt sie dazu bei, die Gäste immer mit zurückhaltender Professionalität höchst aufmerksam, aber nie aufdringlich zu verwöhnen.

Chef de Cuisine Gero Porstein ist seit gut einem Jahr an Bord und hat sich auf die Fahnen geschrieben, die auf Region und Saison ausgerichtete Küche weiter zu entwickeln. Der montags stattfindende Chef’s Table in der Waldhausküche findet auch unter der Regie des 39 Jahre alten gebürtigen Westfalen statt. Zuletzt kochte Porstein im Hotel Carlton in St. Moritz, davor im Restaurant Marina des Eden Roc am Lago Maggiore.

Zum Diner trifft man sich im großen Saal, nimmt Platz und bestaunt die großen Kristallleuchter, die von den aufwändig gestalteten Stuckdecken herabhängen. Im Rahmen der Halbpension bringt Porsteins Küchenbrigade im Laufe der Saison rund tausend verschiedene Gerichte auf den Tisch. Themenabende, spezielle Buffets sowie Gala-Dîners runden das kulinarische Angebot für Halbpensions-Gäste ab.

Traditionelles Lebensmittelhandwerk

(c) Gian Giovanoli
(c) Gian Giovanoli

Regional, schweizerisch, zeitgemäß, lautet das Motto in der Arvenstube, die vom Boden bis zur Decke mit wohlriechendem Zirbenholz getäfelt ist und nur über Sitzplätzen verfügt. Hier kann Küchenchef Porstein auf ein über die Jahrzehnte etabliertes Netzwerk von einheimischen Produzenten und Lieferanten zurückgreifen. Der Käse etwa stammt aus einer Sennerei im nahen Pontresina, das Vitellone aus Bergell und der Frischkäse aus Soglio. Die mutmaßlich sehr glücklich aufgewachsenen Lämmer vom Hof Casty aus Zuoz landen als gebratener Rücken mit hausgemachter Bratwurst und Gin-Jus auf Blumenkohl-Crème auf dem edlen Porzellan. Selbst die Salzflocken kommen aus der Region Saline de Bex im Kanton Waadt.

Das Waldhaus Sils ist Mitglied der „Slow Food Chefs’ Alliance“, ein internationales Netzwerk von Köchinnen und Köchen, die sich nicht zuletzt der Förderung der so genannten „Presidi-Produkte“ verschrieben haben – kleine Qualitätsproduktionen, die das traditionelle Lebensmittelhandwerk bewahren. In der Speisekarte sind diese regionalen Köstlichkeiten speziell gekennzeichnet.

Zu den Klassikern der Arvenstube zählt dass Tartar aus Bergeller Rindfleisch mit Tessiner Maismehl-Focaccia. Eine Sünde wert ist auch das „Loto-Risotto und Zincarlin de la Val da Mücc“. Dahinter verbergen sich Risotto-Kugeln aus Tessiner Loto-Risotto gefüllt mit Zincarlin-Käse auf Auberginen-Kaviar, bunten Cherry-Tomaten und salzigem Granola. Sommelier Oscar Comalli kann im Weinkeller des Waldhauses aus dem Vollen schöpfen. 35.000 Flaschen lagern dort, darunter 30 bis 40 Prozent helvetischer Provenienz.

“Gesehen habe ich viele Landschaften und gefallen haben mir beinahe alle… wohl die schönste, am stärksten auf mich wirkende von diesen Landschaften ist das obere Engadin”, brachte es der Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse auf den Punkt. Sein dortiges Lieblingsdomizil: Das Waldhaus Sils.

Sellawie-Empfehlung: Anlässlich des 111-jährigen Bestehens sind in der Sommersaison 2019 mehr als 100 Anlässe geplant, darunter das Musik- und Literaturfestival „Resonanzen“ vom 15. bis 21. September oder das 39. Nietzsche-Kolloquium vom 26. bis 29. September. Am 14. August präsentieren 11 Schweizer Winzerinnen und Winzer im Rahmen einer Weingala ihre Weine und Lieblingsgerichte. Am 14. Juli. und 20. Oktober öffnet das Waldhaus beim Tag der offenen Tür seine Pforte für einen Blick vor und hinter die Kulissen. Weitere Informationen unter https://waldhaus-sils.ch

Fotos: Christian Euler, Gian Giovanoli