„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann warst du nicht nahe genug dran“, sagte einst der legendäre Kriegsfotograf Robert Capa. Dieses Credo prägt auch die Arbeit von Lynsey Addario, die zu den besten Fotojournalisten der Gegenwart gehört. Ihre Fotos wurden in der New York Times, in National Geographic und im TIME Magazine veröffentlicht. Zahlreiche Auszeichnungen krönen ihr Werk, für Ihre Reportage über „Talibanistan“ erhielt sie 2009 den Pulitzerpreis.

Lynsey Addario, İstanbul Turkey, 17.10.2009
(c) Kursat Bayhan

Seit 15 Jahren reist die US-Fotografin Lynsey Addario in die Krisengebiete der Welt. Ihre Autobiographie ist eine Geschichte von Gewalt und Tod, aber auch eine Ode an das Leben. Schon als Kind lernt sie die rauen Seiten des Lebens kennen. Als sie acht Jahre alt ist, verlässt ihr Vater die Familie, um mit einem Mann zusammenzuleben. Mit drei Kollegen gerät Lynsey Addario im März 2011 in Todesgefahr, als sie in Libyen von Gaddafis Soldaten verschleppt werden. Sie werden gedemütigt, geschlagen und mit dem Tode bedroht. Die Bilder der vier Journalisten gehen um die Welt. Nach fünf Tagen werden sie freigelassen. Für die heute 43-Jährige war diese Erfahrung der Anlass, mit ihrem Mann Paul de Bendem, einem britischen Reuters-Journalisten, eine Familie zu gründen. Sohn Lukas ist heute vier Jahre alt.

IN KUNAR PROVINCE, US BASEIN KUNAR PROVINCE, US BASE medics with the 173rd treat local afghans who claim they were injured by american bombs, though their wounds were NOT consistent with the timing of us attacks ion villages near their homes. very important that afghans injured by taliban and anti-american forces (mortars falling short of villages, etc) often claim it was americans who caused injury when it was not. tight portrait on boy: khalid, 7, clear shrapnel wounds or wounds from an explosion, but definitely not from within the last 15 hours. behind him out of focus is his cousin, fareed, 11 american soldiers with the 173 patrol towards a new outpost in a valley of kunar province to bring supplies to soldiers who have been fighting to establish that outpost. specialist mike patterson, 26 private bobby wilson, 20, of carrollton, ga specialist brian underwood, 27, of chesterton, indiana on 500 caliber gun in window staff sgt. mckely rentas (inside bunker sitting against wall smoking) third tour of afghanistan from billabla, puerto rico pfc sterling jones, black, in window with 240 gun team leader for the 240 of sacramento, ca sterling dunn, 24, of bristol

Ihr Privatleben gleicht bis dahin einer Aneinanderreihung von Fehlschlägen: „Ich hatte Beziehungen, aber ich wollte mich nicht wirklich darauf einlassen. Ich bin immer wieder zurückgekehrt an die Front, da habe ich mich am wohlsten gefühlt”, schreibt Addario. Gleichwohl ist sie nicht ohne Furcht: “Ich habe viele Ängste, jedes einzelne Mal, wenn ich einen Auftrag mache. Noch viel mehr, seitdem ich ein Kind habe. Ich muss einfach lebend nach Hause kommen.“ Ehrlich beschreibt die Autorin, wie schwierig es für sie ist, neben dem Beruf echte Beziehungen zu leben.

Thousands of Syrians cross from Syria into Northern Iraq near the Sahela border point in Dahuk, Northern Iraq, August 21, 2013. Over 30,000 new Syrian refugees have crossed into Northern Iraq in the past five days, as Iraq opened its border to Kurdish civilians fleeing Syria's civil war. (Credit: Lynsey Addario for The New York Times)

Addario riskiert immer wieder ihr Leben. Sie wurde zweimal entführt, beschossen, schwer verletzt und sah Kollegen sterben. Libyen war nicht das erste Mal, dass sie dem Tode nur knapp von der Schippe sprang. Nur fünf Jahre zuvor wurde sie bei einem Autounfall in Pakistan schwer verletzt – ihr Fahrer wurde getötet.

Pakistani Taliban fighters with the group named the "Prevention of Virtue and Preservation of Vice" roam through the tribal areas heavily armed in Bar Kambar Khel, in the Pakistani tribal area near the border of Afghanistan, July 4, 2008. The area is largely under the control of the "Prevention of Virtue and Preservation of Vice group" which commands nearly 20% of the Tribal area, and is commanded by Namdar Afridi. Since the start of the American-led war in Afghanistan in 2001, the Taliban has gradually infiltrated the areas surrounding Peshowar, making the tribal areas inaccessible, and Peshowar more tense. (Credit: Lynsey Addario for The New York Times)

Aufhören stand für sie nie zur Diskussion. Tod, Elend, Gewalt und Schrecken sind wie eine Droge. Dabei glaubt Lynsey Addario an die Macht der Bilder („mit der Kamera bin ich wirkungsvoll“). Sie will Menschen wachrütteln und mit ihren be(d)rückenden Fotos zum Nachdenken zu bringen. “Ich lasse manchmal Menschen zurück, die vielleicht nicht überleben werden. Wenn ich gehe, habe ich nur eine Momentaufnahme ihres Lebens gesehen… Ich kann da nur hoffen, dass meine Arbeit ihre Situation verbessert, dass meine Arbeit ihnen irgendwie helfen kann.”

Children swim in former Iraqi leader Saddam Hussein's pool at one of his palaces in Mosul. Since the fall of Saddam Hussein's regime, civilians have been enjoying the riches of the former leader.

Immer wieder hinterfragt sie sich, ob sie das überhaupt machen kann und darf. „Wenn ich heimkehre und die Risiken nüchtern beurteile, fällt es mir nicht leicht, mich für meine Arbeit zu entscheiden. Aber wenn ich meine Arbeit mache, bin ich lebendig und kann ich selbst sein. Gewiss gibt es andere Wege zum Glück. Dies aber ist der Weg, den ich gewählt habe.“

Kahindo, 20, sits in her home with her two children born out of rape in the village of Kayna, North Kivu, in Eastern Congo, April 12, 2008. Kahindo was kidnapped and held for almost three years in the bush by six interhamwe, who she claims were Rwandan soldiers. They each raped her repeatedly, and she had one child in the forest, and was pregnant with the second by the time she escaped. An average of 400 women per month were estimated to be sexually assualted in the autumn of 2007 in eastern Congo, while in the first months of 2008, the figure dropped to an average of 100 women per month. This said, many women never make it to treatment centers, and are not accounted for in these statistics. (credit: Lynsey Addario)

„Jeder Moment ist Ewigkeit“ ist eine ebenso erschütternde wie eindringliche Tour de Force durch die Kriege der vergangenen Jahre und öffnet die Augen. Wer das Leid der syrischen Flüchtlinge durch Addarios Kamera und ihren eindringlichen Text betrachtet, sieht die Asyl-Diskussion in einem völlig neuen Licht.

Ihr über 350 Seiten starkes Buch hat in den USA so viel Interesse erregt, dass Steven Spielberg ihr Leben verfilmen will – mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle. Warner Bros. hat die Rechte an Addarios Autobiografie erworben. Die Originalausgabe trägt den schlichten, aber vielsagenden Titel “It’s what I do” – frei übersetzbar mit „Ich kann nicht anders“.

Fotos: Lynsey Addario

Lynsey Addario: Jeder Moment ist Ewigkeit. Als Fotojournalistin in den Krisengebieten der Welt. Econ Verlag Berlin, 2016, ISBN 978-3-430-20212-1