Mit Manfred Honeck am Pult und Yo-Yo Ma am Cello zeigt das Weltklasse-Ensemble bei den Osterfestspielen alle Facetten der Gefühle.

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(c) Monika Rittershaus

Zu seinem Debüt in Baden-Baden am Montag brachte Yo-Yo Ma das Cellokonzert a-Moll von Robert Schumann mit. Der in Paris geborene Sohn chinesischer Eltern hat mehr als 100 Aufnahmen eingespielt und 18 Grammys gewonnen. Nun also im Festspielhaus – mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Manfred Honeck.

Lächelnd – oder mit geschlossenen Augen in sich selbst versunken – interpretiert er Schumanns Spätwerk. Von der immensen Anstrengung zeugen nur die Schweißperlen auf seiner Stirn. Das kantable und phantasievolle Spiel des 60-Jährigen ist von einer Reinheit und Brillanz, die ihresgleichen sucht. Wie gut, dass er sich vergleichsweise frei entfalten darf, weil Schumann die Tutti-Passagen auf ein Mindestmaß beschränkt.

(c) Monika Rittershaus
(c) Monika Rittershaus

Das Stück reflektiert verschiedene Facetten des Verliebtseins“, charakterisiert Ma das Cellokonzert, „das ist zutiefst menschlich.” Die verinnerlichte, dichte Eleganz seiner Interpretation bringt die damit verbundenen Emotionen musikalisch auf den Punkt. Yo-Yo Ma, der ein Cello von Stradivari aus dem Jahr 1712 spielt, das zuvor Jacqueline du Pré gehörte, hat sichtliche Freude am Duett mit dem ersten Solo-Cellisten der Berliner Philharmoniker: Bruno Delepelaire hat er vor vielen Jahren kennengelernt, bis heute verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft. Ma ist frei von jeglicher Überheblichkeit. Sympathisch-lächelnd gibt er dem Autor dieser Zeilen die Hand, als er ihm in der Pause gratuliert.

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(c) Beeth

Im zweiten Teil des Konzertabends ist der Ausnahme-Cellist selbst Zuhörer, als Manfred Honeck mit den Berlinern Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll. Der Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra gab 2013 sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern, als er eine CD-Aufnahme mit Anne-Sophie Mutter spielte, die ein Jahr später mit dem Echo Klassik gekürt wurde.

Schon zu Beginn des ersten Satzes wird schnell deutlich, warum Tschaikowsky seinem Werk den Beinamen Pathétique gab: Das Adagio ist geprägt von Düsternis und Grauen. Als Kollektiv aus lauter glänzenden Virtuosen verstehen es die Berliner Philharmoniker meisterhaft, diese Gefühle Musik werden zu lassen. Eine klangliche Offenbarung sind die kaum hörbaren Kontrabässe, die das Seufzermotiv des Fagotts tragen. Ausgezeichnet auch die Holzbläser, wie sie sanft verklärt das zweite Thema vortragen, dabei immer leiser werden, bis das im zartesten, sechsfachen Piano verklingt.

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(c) Beeth

Tschaikowsky selbst erklärte die Symphonie zum „Schlussstein seines gesamten Schaffens“, bei deren Komposition er immer wieder in Tränen ausgebrochen sei. Antonín Dvořák, Schöpfer der wunderbaren Sinfonie „Aus der neuen Welt“ schwärmte: „Seine Musik dringt so tief in die Seele, dass man sie nicht vergessen kann.“ Die Vorstellung der „Pathétique“ als hochemotionales Vermächtnis des Komponisten wurde vor allem durch die Tatsache angeregt, dass er nur neun Tage nach der Uraufführung an Cholera starb.

Der Walzer im komplizierten 5/4-Takt, wird überaus beschwingt und lebhaft gespielt, bis an den Rand der Salonmusik. Das kann Dirigent Manfred Honeck, der die „Pathétique“ auswendig dirigiert, nur gelingen, weil er sich auf jeden einzelnen seiner Musiker verlassen kann.

Es gehört zu den Meisterleistungen des Elite-Ensembles, wie zunächst die Celli und dann die Holzbläser die bezaubernden Phrasen über alle Taktstriche hinweg ausarbeiten, wie im Stirnsatz tiefste Emotionen aus Schlachtfeld der Gefühle laut werden, ohne schrill zu werden – und wie selbst ineinander verschlungene Stimmen stets durchhörbar bleiben.

Sinfonisches Requiem

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(c) Felix-Broede

Fast atemlos jagt die Musik durch den dritten Satz und wird mit einer gespenstigen Sicherheit durchgezogen – mit spürbarer Durchdringung der Dramaturgie. Auf dem Höhepunkt verdichtet sie sich: Trompeten und Posaunen werfen sich gegenseitig das Anfangsmotiv zu, während alle Hörner gleichzeitig das tiefe g und tiefe fis spielen. Maestro Honeck scheut sich nicht davor, die in dreifachem Forte gesetzte Passage voll auszuspielen und bewahrt dennoch den Blick auf die Details. Nach dem Ende des dritten Durchgangs applaudiert das Publikum – obwohl das Stück längst nicht zu Ende ist. Ob aus Unwissenheit oder schierer Begeisterung, soll hier dahingestellt sein.

Beinahe könnte man sagen, dass das resignierende Erlöschen aller Lebenslust als Essenz von Tschaikowskys Pathétique und die musikalische Lebensfreude der Berliner mit ihrem Höchstmaß an Intensität diametral gegenüberstehen. Mehrfach schrieb der tiefgründige Komponist an seine „geliebte Freundin“ und großzügige Gönnerin Nadeshda von Meck, wie sehr er mit seiner Musik zu den Menschen zu sprechen und Empfindungen von Seele zu Seele zu transportieren versucht. Dafür sind an diesem Abend die Berliner Philharmoniker unter Manfred Honeck das ideale Medium.

Dicht und packend präsentieren sie die Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit im finalen Adagio lamentoso. Im vierfachen Piano klingt das sinfonische Requiem aus. Jetzt hält sich das Auditorium mit seinem Applaus zurück. Absolute Stille im Festspielhaus, während Manfred Honeck das düstere Ton- und Seelengemälde im Innehalten fast meditativ nachwirken lässt. Langsam löst sich die Spannung. Langer Beifall.

TV-Tipp: Arte strahlt das Konzert am Ostersonntag, 27. März, um 17.40 aus.

www.festpielhaus.de

Titelfoto: Felix Broede